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Die katholische Polenmission in der Schweiz wurde kurz nach dem 2. Weltkrieg, im Jahr 1950, in Marly bei Freiburg gegründet. Es war ein Beschluss der Polenkonferenz in Freiburg, die damals tagte. Dieser Beschluss wurde bestätigt am 02.06.1950 durch Bischof Gawlina, welcher auch den Dominikanerpater Józef Maria Bocheński als Rektor nominierte. Ziel war die Seelsorge der zahlreichen Polen in der Schweiz, unter anderen der internierten Soldaten der zweiten Infanteriedivision. Zu den Aufgaben des Rektors gehörte „die Sorge um die Seelen der in verschiedenen Kantonen verstreuten Polen, insbesondere der Studenten und Kinder, welche ihren Glauben und Bezug zur ersten Heimat verlieren könnten“.

1957 wurde ein Haus in Marly gekauft, welches zum Sitz der Mission bestimmt wurde. Die Aufgaben des Rektors übernahm genannter Pater Innocenty Maria Bocheński, Professor für zeitgenössische Philosophie und Dekan der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Freiburg. Dank seinem Einsatz stieg mit der Zeit die Zahl der Orte, an deren die Messe auf Polnisch gelesen wurde. 1957 rief er die Stiftung ins Leben, welche zum  Haus und der Kapelle in Marly Sorge tragen soll.

Der Lebenslauf von Pater Bocheński soll nun kurz geschildert werden.

 

 

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Józef Maria Bocheński kam auf die Welt am 30. August 1902 in Czuszowo, Kleinpolen, als Sohn von Adolf und Małgorzata, geb. Dunin-Borkowska. Seine Familie hatte lange patriotische Traditionen. Der Urgrossvater kämpfte in den Napoleonischen Kriegen, der Grossvater in Januaraufstand 1863/64. Dies prägte den jungen Józef Maria sehr, welcher sein Leben dem Kampf um die Freiheit Polens, aber auch der Vertiefung des Wissens und des Glaubes widmete. Nach dem Abitur trat er der Armee bei und nahm am polnisch-bolschewistischen Krieg teil. Im Herbst 1920 begann er zu studieren. Zuerst war es Jura in Lwow, später Wirtschaft und politische Ökonomie in Posen. Dort nahm er Kontakt zu konservativen und christdemokratischen Kreisen auf, was ihn dazu brachte, einige Strömungen der Philosophie abzulehnen, sseinschliesslich Agnostizismus und Kantismus. Ebenfalls begann der Prozess seiner Rückkehr in die Kirche. Von Pater Jacek Woroniecki ermutigt, trat er 1926 in das Priesterseminar in Posen ein. Ein Jahr später trat J. M. Bocheński in das dominikanische Noviziat in Krakau ein und nahm den Ordensnamen Innocenty an. Aufgrund seiner Fähigkeiten und intellektuellen Qualitäten wurde er bald in die Schweiz an die Universität Freiburg und danach nach Italien an die Päpstliche Universität Angelicum in Rom geschickt, wo er promovierte. Er wurde einer der angesehensten Spezialisten und Dozenten des Thomismus und nahm aktiv am wissenschaftlichen Leben teil. Gleichzeitig verlor er nicht den Kontakt zu seiner Heimat, er habilitierte an der Jagiellonen-Universität in Krakau.

Gleichzeitig war er an der Entwicklung dominikanischer Strukturen beteiligt und an der Organisation des Klosterbaus in der damaligen Siedlung Służew bei Warschau. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war er einer der Kapläne der Unabhängigen Einsatzgruppe "Polesie" unter General Franciszek Kleeberg. In der Schlacht von Kock leicht verwundet, wurde er gefangen genommen, floh aber schnell nach Kielce. So begann seine Kriegsreise. Er erreichte Grossbritannien über Italien, Frankreich und Spanien. Entsprechend dem Willen von Bischof Józef Gawlina wurde er 1943 Militärkaplan im 2. polnischen Korps und kämpfte in Italien unter dem Kommando von General Władysław Anders, inklusive der Schlacht von Monte Cassino von 1944. Pater Bocheński kümmerte sich nicht nur um die Seelen und den Geist der Soldaten, sondern kämpfte auch Seite an Seite mit ihnen. Nach dem Krieg setzte er sich dafür ein, die Erinnerung an die Tapferkeit der Polen zu bewahren. Er beteiligte sich an der Organisation der polnischen Kriegsfriedhöfe in Italien - am Monte Cassino und in Loreto.

Nach Kriegsende kehrte Pater Bocheński nicht nach Polen zurück. In Ausland hatte er mehr Möglichkeiten, das Bewusstsein dafür zu schärfen, was Kommunismus wirklich ist und welche Bedrohung er für die freie Welt darstellt. Zu diesem Zweck leitete er die Zeitschriftenreihe "Sovietica". Er war der Initiator der Gründung des Instituts für Osteuropa in Freiburg. Er pflegte Kontakte zu Zentren des unabhängigen polnischen Denkens im Exil und veröffentlichte Artikel beispielsweise in der in Paris erschienenen Zeitschrift "Kultura". Er betonte die Einzigartigkeit der polnischen Kultur und ihre friedliche Rolle bei der Entwicklung des modernen Europa. Kritisch bewertete er jedoch die Phänomene in Polen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einschliesslich der fehlenden umfassenden Aufarbeitung des kommunistischen Systems nach 1989. Mehrmals forderte er die angemessene Bildung der jungen Generation, damit sie sich mit der Nation und der Kirche identifizieren und für ihre Werte einsetzen kann. Nach dem Krieg kehrte er auch zu wissenschaftlichen Aktivitäten zurück.

Ab 1946 wirkte er an der Universität Freiburg, in den Jahren 1964–1966 als deren Rektor. Er setzte seine Forschung über die Gedanken des heiligen Thomas von Aquin fort und vertiefte die mittelalterliche Logik. Deren Methoden verwendete er auch in der kritischen Analyse von Phänomenen, die für moderne, nicht nur kommunistische Gesellschaften charakteristisch sind. Er sprach mehrere Sprachen fliessend und hatte die Möglichkeit, in vielen Ländern an Konferenzen teilzunehmen und Vorträge zu halten. Er veröffentlichte ungefähr 1.000 Werke, darunter etwa 100 Bücher, von denen viele in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. In der Arbeit "Zwischen Logik und Glauben" betonte er die Notwendigkeit, Gott ständig anzubeten, ihm zuzuhören und ihn als Quelle von Gesetzen und Prinzipien anzuerkennen. 1987 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "100 Aberglauben. Ein kurzes philosophisches Wörterbuch des Aberglaubens“. Er behandelte das Konzept des Aberglaubens sehr weit. Er sah darin nicht nur Astrologie und Wahrsagerei, sondern auch bestimmte Strömungen der Philosophie wie Anarchismus und Marxismus. Er bewies, wie gefährlich irrationale Kräfte sind, die das richtige Fundament von Menschen und Gesellschaften aufbrechen. Diesen Denkrichtungen zu folgen kann weitreichende negative Auswirkungen haben. Ohne Religion und moralische Prinzipien hat die Gesellschaft keine Chance auf ein glückliches Leben. Im 1992 veröffentlichten "Handbuch der Weisheit dieser Welt" teilte der Autor sein Wissen und seine reiche Erfahrung mit seinen Zeitgenossen und wollte sie an die nächsten Generationen weitergeben. Er lehrte gleichzeitig Offenheit und Standhaftigkeit.

Er machte kein Geheimnis daraus, dass seine Aussagen provokativ klingen könnten, aber nur so könnten Sie einen unabhängigen Gedanken formen. Er erhielt mehrere Ehrendoktorwürden, inkl. der Universitäten von Buenos Aires und Notre Dame. In den 1990er Jahren, als er Polen besuchte, wurden ihm dieser Titel auch von der Akademie für Katholische Theologie und der Jagiellonen-Universität verliehen. 1987 ehrte der Präsident der Republik Polen im Exil, Kazimierz Sabbat, Pater Józef Maria Bocheński mit dem Kommandantenkreuz des Ordens von Polonia Restituta.

Der Dominikaner starb am 8. Februar 1995 im Ausland, in Freiburg, das über lange Zeit sein Zuhause gewesen war. Der Sejm der Republik Polen hat den heiligen Johannes Paul II zum Patron des Jahres 2020 erklärt; zugleich erklärte der Senat der Republik Polen Pater Józef Maria Bocheński zum Patron dieses Jahres: Mit Beschluss vom 18. Oktober 2019 beschloss der Senat, die Person und die Verdienste des Paters Bocheński zum 25. Jahrestag seines Todes zu ehren. In der Begründung heisst es, Pater Bocheński habe "sein ganzes Leben lang die Wahrheiten des Glaubens und die Gesetze der Logik verteidigt und die Polen unterstützt, die für die Freiheit kämpfen". Mit seiner Ernennung zum Patron des Jahres 2020 würdigte der Senat der Republik Polen "diesen herausragenden Wissenschaftler, Priester und Patrioten".

Quelle: Anna Laszuk, Parafia na Sadach, nr 52, Übersetzung aus dem Polnischen von Marcin Sumila